Das Vorhaben
Die griechischen etymologischen Wörterbücher („Etymologika“) zählen zu den bedeutendsten lexikographischen Leistungen antiker und mittelalterlicher Wissensgeschichte in Europa. Sie wurden bis in die Renaissance und in die Neuzeit hinein produziert, genutzt und erweitert. Der Name dieser Lexika bezieht sich auf die antiken philosophischen und grammatikalischen Auseinandersetzungen mit der Sprache auf der Suche nach dem étymon, d.h. der ‚wahren Bedeutung‘ und der Essenz eines Wortes. Während die Etymologie sich heute ausschließlich der sprachwissenschaftlichen Untersuchung der Entstehung und Entwicklung der Wörter und ihrer Bedeutungen widmet, ist die etymologische Praxis in Antike und Mittelalter auch außerhalb der Lexikographie eine weit verbreitete Denk- und Argumentationsform sowie ein heuristisches Instrument, das in Philosophie, Dichtung, Rhetorik und Politik verwendet wird, um das Wesen eines Begriffes oder einer Sache genau und überzeugend zu erklären. Ein herausragendes literarisches Zeugnis, das diese Form etymologischen Denkens und Argumentierens präsentiert und seine Möglichkeiten, die Sprachrichtigkeit festzustellen, analysiert und kritisch betrachtet, ist der platonische Dialog „Kratylos“. Auf die Entwicklung der Etymologie in Antike, Spätantike und Mittelalter hat dieses Werk eine nicht zu unterschätzende Wirkung ausgeübt. Daneben sind besonders die stoische Philosophie und die Untersuchungen der hellenistischen Philologen und der Grammatiker aus der Kaiserzeit als wichtige Inspirationsquellen für die Ausgestaltung und Weiterentwicklung der etymologischen Arbeit zu nennen. Auf diesen starken wissenschaftlichen Traditionen und ihren theoretischen Prämissen basieren die in der Spätantike und in der frühbyzantinischen Zeit neu geschaffenen etymologisch-lexikographischen Arbeiten. Sie kompilieren das frühere Material und sind für uns damit wichtige (und oft die einzigen) Quellen; dennoch sind sie als eigenständige Werke konzipiert und als solche zu untersuchen, zu verstehen und in die lexikographische Tradition einzuordnen, wodurch überhaupt erst ein methodischer Zugang zu dem bewahrten Material möglich wird. Das in den byzantinischen Etymologika gespeicherte Wissen ist ein wichtiger, bisher unzureichend erforschter Teil des literarischen und sprachwissenschaftlichen Erbes der griechischen Kultur.
Im Vordergrund des Projekts steht die erste vollständige kritische Edition des wirkmächtigen „Etymologicum Gudianum“ mit englischer Übersetzung und Kommentar. Geplant sind sowohl eine gedruckte Ausgabe als auch umfängliche Online-Ressourcen, um die Arbeitsergebnisse einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Begleitend wird die Produktion und Nutzung der Manuskripte mit ihren mehrschichtigen Text- und Bearbeitungsstufen detailliert untersucht werden. Dadurch wird es möglich, das kulturelle Umfeld der Herstellung und Verbreitung dieser Handschriften sowie ihren Sitz im Leben als Wissensträger und -vermittler zu bestimmen.